Der Baubeginn eines der Kernstücke der Fahrrinnenanpassung rückt näher: Die „UWA Medemrinne-Ost“. Ende Januar 2019 wurde der Auftrag erteilt, und entsprechend der Bekanntmachung für Seefahrer 12/19 ist ein Sperrgebiet inzwischen eingerichtet, und hier auch eine Steinumschlagfläche. Die Teilverfüllung der Medemrinne dient der Dämpfung der ein- und ausschwingenden Tideenergie und soll einem weiteren ausbaubedingten Absunk des Tideniedrigwassers stromauf entgegenwirken.
Grundsätzlich pfiffig, die Organisation der Aushub-Verbringung (im Strom selbst) als eine tidehubdämpfende Maßnahme, als Korrektur einer Fehlentwicklung anzulegen. Auffallend hingegen ist, dass es bei der sonst üblichen Simulationsfreude der BAW und entgegen der eigenen Erkenntnislage zu früheren Planungsversäumnissen keine mittelfristige Betrachtung des zu erwartenden morphologischen Nachlaufs nach Anlage der UWA gibt. Mit der Teilverfüllung der Medemrinne fällt ein hydraulisch wichtiger Elbarm weg, und der Fluss wird (auch ohne die geplante Vertiefung) bestrebt sein, zu einem neuen Gleichgewicht zu kommen – also in dieser Gegend stärker strömen und andere Wattbereiche erodieren, was die ursprüngliche Dämpfungswirkung der UWA konterkarieren wird.
Ganz abgesehen davon, dass die Lagestabilität gerade der Medemrinne-UWA nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Wer jemals durch Studium alter Seekarten mit der Dynamik der Morphologie der Elbmündung in Berührung gekommen ist, dem können Zweifel kommen, wie lange sich ein derartiges Bauwerk dort wird behaupten können. Die Sände wandern, und die Muster der Rinnensysteme kehren periodisch wieder. Die Stichworte aus den letzten Jahrzehnten sind: Entstehung des Medemgrundes, Verlagerung der Medemrinne nach Norden, Durchbruch des Klotzenlochs. Dies lässt sich zum Beispiel in dieser Flash-Animation detailliert nachvollziehen.
Das gesamte Gefilde – einschließlich der östlicher gelegenen Neufelder Rinne und des Neufelder Sandes – kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken, wie die folgende Grafik [1] zeigt.
Die Rinne ist heute verschwunden, der Neufelder Sand wird im Zuge der Fahrrinnenanpassung ebenfalls mit einer UWA aufgehöht werden.
Um Fakten zu schaffen, sind massive Steindämme (wie der Leitdamm Kugelbake) in dieser exponierten Gegend eigentlich Mittel der Wahl, und unsere Väter und Großväter hatten insgesamt einen deutlich robusteren Ansatz (für die Unterwerfung der Natur). Tatsächlich gab es schon 1939 den Plan, mit einem von Brunsbüttelkoog ausgehenden und sich immerhin bis zur Höhe der Ostemündung erstreckenden Strombauwerk das Rinnensystem zu fixieren, wie sich in diesem Artikel des Dithmarschen-Wikis nachlesen lässt.
Gebaut worden ist davon nur ein (heute weitgehend versandetes) Teilstück auf der dem Osteriff-Leitwerk gegenüberliegenden Seite. Aber die Bundesanstalt für Wasserbau hatte unter anderem auch diese Idee des „Leitdamm Hermannshof“ im Jahre 1980 nochmal untersucht, und es ist erfrischend, sich der Planungen aus dieser Zeit noch einmal zu vergegenwärtigen. Eindeichung und Aufspülung zum Zwecke der Baggergutentsorgung und/oder der Schaffung von Industriefläche war nicht verpönt, sondern das Standardverfahren. Und so liest man in dem Mitteilungsblatt der BAW [2] :
Im Namen der Landesregierung Schleswig-Holstein erläuterte Anfang 1972 der Beauftragte für den Wirtschaftsraum Brunsbüttel die Notwendigkeit, zur Sicherung der Energieversorgung weitere Standortmöglichkeiten für große Kraftwerkseinheiten im Ästuarbereich der Elbe zu erkunden. Bei dem hohen Kühlwasserbedarf moderner Kraftwerke und den bereits bestehenden thermischen Belastungen der Flüsse ist dort die Anzahl der Standorte begrenzt. In absehbarer Zeit können diese nur noch in den Mündungsgebieten der großen Ströme oder unmittelbar an der Küste gefunden werden.
Das Land Schleswig-Holstein überlegte aus diesem Grunde, den Neufelder Sand (stromab von Brunsbüttel) einzudeichen, aufzuspülen und dieses Gelände den Versorgungsunternehmen als Standort für ein Kraftwerk anzubieten. Durch die Aufspülung würde eine Fläche von ca. 600 ha nutzbar sein.
Da dieser Eingriff in die bestehenden hydraulischen Verhältnisse auch zu Veränderungen der Morphologie führen wird und damit die Stabilität der Fahrwasserrinne gefährden kann, war es erforderlich, in einem Modellversuch diese Folgeerscheinungen zu untersuchen.
Die Wasser-und Schiffahrtsverwaltung des Bundes möchte dieses Gebiet jedoch freihalten, um langfristig eine Baggergutdeponie einrichten zu können.
Die Realisierung dieser Überlegungen hätten uns – wenn schon kein Kraftwerk – ein keckes Bürzel („Varianten 1 und 2“) [3] beziehungsweise einen niedlichen Zipfel („Varianten 3 und 4“) [4] an der Dithmarscher Küste beschert.
Andererseits: So falsch ist die Mündungsnasen-Ansatz nicht, wenn man eines Tages zu der Überlegung kommt, das Elbdelta mit einem (Sturmflut-) Sperrwerk abdämmen zu wollen.
Ein Quercheck zum den Unterelbe-Industrieansiedlungsplanungen der Siebziger zeigt in der folgenden Grafik [5] übrigens tatsächlich ein Kernkraftwerk auf dem Neufelder Sand. Neben den auserwählten Standorten Neuwerk, Altenbruch, Brokdorf und Kollmar!
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Literatur
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- [3] Giese, E., S.45
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- [4] Giese, E., S.47