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Inkonsistenzen im Sedimentmanagement

Es ist gängige Praxis, Sediment im Fluss umzulagern, statt es aus dem System zu entfernen; dies entspricht der Gesetzeslage und lässt sich mit Kostengründen, aber auch mit der Aufrechterhaltung natürlicher Stoffkreisläufe begründen. Eine seriöse Vorgehensweise berücksichtigt dabei den weiteren Verbleib der Sedimente. Je nach Sedimentfraktion – es geht hier um Feinmaterial – funktioniert eine dauerhafte Ablage nur, wenn man es in Bereiche mit geringer Strömungsintensität verbringt, diese Unterwasserablageflächen befestigt und geeignet abdeckt. Die Alternative ist eine kalkulierte Vertreibung des Sediments durch eine Verklappung in ebbstromdominanten Stromabschnitten, die einen natürlichen Netto-Sedimenttransport in Richtung Mündung aufweisen. In der Elbe ist dieser Netto-Transport (wie auch die Lage der Trübungs- resp. Brackwasserzone) in hohem Maße vom jeweiligen Oberwasserzufluss abhängig; im Standardfall sind daher die Frühjahrsmonate besonders geeignet. Im Idealfall würde man nur in den zwei oder drei Wochen der Abflussspitzen umlagern – das lässt sich aber kaum planen. Entsprechend einer Vereinbarung mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg gilt, dass die Baggersaison im Hafen und auf der Delegationsstrecke der Elbe im November beginnt und im April mit dem Blick auf ansteigende Wassertemperaturen, dem Sauerstoffhaushalt und dem Beginn der Laichzeit endet.

Die Jahre 2004 und 2005 waren durch besonders hohe Baggermengen charakterisiert, die nicht zuletzt mit der 1999/2000er Elbvertiefung in Verbindung gebracht wurden. Dies führte 2008 zu dem von HPA und WSV gemeinsam verantworteten „Strombau- und Sedimentmanagementkonzept für die Tideelbe“. Die wesentliche Maßnahme war die Veränderung der Umlagerungsstrategie in Verbindung mit der Einrichtung eines 2 km langen, mit zwei Metern Übertiefe ausgestatteten Sedimentfangs vor Wedel, um via „tidal pumping“ stromauf transportierte Sedimente an zentraler Stelle rechtzeitig abfangen zu können. Von der Idee her wird damit dem marinen Sediment die Möglichkeit verwehrt, in den Hafenbereich zu gelangen und sich dort mit höher belasteten fluvialen Sedimenten und Hafen-Altschlick zu vermischen.

Grafik 1: Sedimentfang vor Wedel [HPA-WSV2, S.16]

Sortenreinheit ist wichtig, denn zentrales Kriterium von Umlagerungsentscheidungen ist gerade das Verschlechterungsverbot: Es gilt eine Ablagerungsfläche auszuwählen, deren Sedimentzusammensetzung und Schadstoffbelastung mit dem Baggergut korrespondiert. Unter dieser Bedingung gilt eine Umlagerung in räumlicher Nähe für wenig bis mäßig belastete Sedimente als die günstigste und ökologische vertretbare Variante. Die mechanische Trennung von Hafenschlick und die Deponierung an Land bleibt damit real belasteten Sedimenten vorbehalten. Kein Frage: Der Begriff des Sedimentmanagements umschreibt ein mehrdimensionales Optimierungsproblem.

Typische SSMK-Klappstelle für das Baggergut aus dem Wedeler Sedimentfang und anderen Baggerstellen im Verantwortungsbereich des WSA Hamburg sind die Verbringstellen VBS 686/690 bei gleichlautenden Stromkilometern, also etwa in Höhe von St. Margarethen, und die VBS 700 (Neufelder Sand). Sie wurden gewählt, weil sie die nächstgelegenen und (bei hohem Oberwasser) brauchbar ebbstromdominanten Flussabschnitte stromab der maximalen Trübungszone sind. Daneben gibt es für das WSA Cuxhaven die VBS 738 (Neuer Lüchtergrund/Norderrinne), die etwa für Baggerungen am Osteriff genutzt wird, die aber auch stets als VBS der kommenden Fahrrinnenanpassung erwähnt wird. Und dann gibt es noch die Verklappung von Sediment bei Tonne E3 etwa 15km südlich Helgolands, die in Absprache mit Schleswig-Holstein als zeitlich befristete Ausweichlösung genutzt wurde, um Sediment (außerhalb der Umlagerungssaison) vollständig aus dem System entfernen zu können.

Grafik 2: Verbringstellen bei St.Margarethen [BfG3, S.84]

Man kann jetzt darüber spekulieren, ob die Ebbstromdominanz tatsächlich funktioniert und in welchem Maße diese Verbringstellen an den morphologischen Veränderungen stromauf beteiligt sind, oder ob die umgelagerten Mengen vor dem Hintergrund der natürlichen Sedimenttransporte so oder so als eher vernachlässigbar einzuordnen sind. Im Grundsatz sehen die Verantwortlichen die damals gewählte Unterhaltungsstrategie auch in der 2014er Neuauflage der Sedimentmanagement-Systemstudie [BfG2] als erfolgreich an.

Eigentümlich ist aber die immerhin seit 1994 bestehende Praxis der Umlagerung von Feinsediment bei Strom-km 638 am südlichen Fahrwasserrand, also noch auf Hamburger Gebiet (Klappstelle Neßsand). Dies ist womöglich nicht allgemein bekannt, aber dort landet weiterhin der weitaus größte Teil der im Hamburger Hafen gebaggerten Sedimente. In den jeweiligen Reports wie [HPA1] lassen sich die Mengen nachvollziehen:
2005: 6,2 Mio. m³
2006: 2,6 Mio. m³
2007: 2,4 Mio. m³
2008: 3,2 Mio. m³
2009: 2,9 Mio. m³
2010: 2,4 Mio. m³
2011: 1,1 Mio. m³ (dank durchgängig hohen Oberwassers)
2012: 3,9 Mio. m³
2013: 5,0 Mio. m³

Grafik 3: Klappstelle Neßsand [HPA1, S.7] als schwarze Markierung am südlichen Tonnenstrich. Die rote Schraffur ist „Kontrollgebiet“

Die Schüttstelle am Fahrrinnenrand ist in der Seekarte prominent verzeichnet und dennoch keine Flachstelle, obwohl es heißt, „die Umlagerungen bei Neßsand finden ausschließlich bei ablaufendem Wasser (Ebbstrom) statt“ [HPA1, S.6]. In diesem Sinne wird der Sedimentfang vor Wedel dann wohl auch unfreiwillig von Oberstrom (und mit nicht-marinem Sediment) gespeist. Vielleicht wäre es sinnvoller, das Baggergut gleich dort abzulagern – oder es eben unmittelbar nach VBS 686/690 zu bringen. Bei näherer Betrachtung der Umlagerungspraxis besteht tatsächlich die Methode darin, Material just an den Amts-Zuständigkeitsgrenzen zu  verklappen. Wie eine weitere Grafik zeigt, ist dies kein Witz.

Grafik 3b: Gegenwärtige Unterbringungsstrategie für die Feinsedimente aus der Unterhaltungsbaggerung in der Tideelbe [BfG2, S.16]

In Bezug auf die Klappstelle Neßsand aber ist es die Fortsetzung des Verfahrens wider besseren Wissens, die verstört.

Der ganze Abschnitt zwischen Wedel und Hafen ist klar flutstromdominant, dies gilt auch für alle Oberwasser-Abflusssituationen – siehe folgende Grafik aus [BAW1]. Es ist eine ungeeignete Klappstelle. Die für den Oberlauf eines Ästuars typische, auch durch die langjährigen Strombauaktivitäten asymmetrisch verschobene Tidekurve mit dem schnellen Wasserspiegelanstieg der ersten Flutphase sorgt mit hohen Strömungsgeschwindigkeiten für eine Remobilisierung von Sediment. In Bezug auf die gesamte Unterelbe heißt es gar: „Diese Flutstromdominanz ist am stärksten an der Station Hanskalbsand bei Wedel ausgeprägt“ [BfG1, S.47]

Grafik 4: Darstellung des Verhältnisses von Ebb- und Flutströmung in der Unterelbe bei verschiedenen Oberwasserkonstellationen [BAW1, S.7]; rot markiert ist die Flutstromdominanz im Elbabschnitt vor Hamburg

Dabei war gerade diese Erkenntnis eine zentrale Motivation für das SSMK. „Diese seit Mitte der 1990er Jahre im hamburgischen Bereich umgelagerten Mengen werden nur zu einem eher geringen Teil aus dem System entfernt. Als Folge dieser Kreislaufbaggerungen und ständigem Feststoffzufluss aus Richtung See und von Oberstrom reichern sie sich an und führen zu einer steigenden Baggermenge. Dies belegt eindrücklich eine monatsweise Auswertung der Baggermengen der Jahre 2004 und 2005. Besonders die im Sommer bei niedrigem Oberwasser aus dem Köhlbrand nach Neßsand umgelagerten Baggergutmengen sind von dort mit dem Flutstrom faktisch sofort wieder zurückgekommen.“ [HPA-WSV1, S.9] Daher gilt: „Aus dem Hamburger Bereich ist die dauerhafte Entnahme von Feinmaterial erforderlich, soll es sich hier nicht anreichern (Durchbrechen von Sedimentkreisläufen). Die heute an der hamburgischen Landesgrenze durchgeführten Umlagerungen sollen so umgestellt werden, dass diese Mengen aus dem flutstromdominierten Bereich entfernt werden.“ [ebenda, S.18]. Und zur Zukunft der Klappstelle Neßsand: „Durch Umlagerungen werden zumindest bei geringen Oberwasserabflüssen der Elbe Sedimentkreisläufe erhalten; das Sediment reichert sich im System an und beeinflusst damit potenziell auch Nebenelben etc. Diese Stelle soll im Rahmen der Umsetzung des Gesamtkonzepts weitgehend aufgegeben werden, da sie den vorstehenden Handlungsgrundsätzen nicht entspricht“ [ebenda, S.20].

Ein Aspekt der Sedimentfalle Mühlenberger Lochs ist gerade, dass es nach Tidekenterung zunächst mit beträchtlicher Strömung durch die Außeneste und nicht durch die flachere Hahnöfer Nebenelbe gefüllt wird, was ohnehin mit einer initialen Aufwirbelung von Feinsediment verbunden ist – welches dann viele Stunden Zeit hat, sich wieder zu setzen. Aus der Entstehungsgeschichte des SSMK zitiert die Systemstudie des GKSS von 2007 [GKSS1] ein Gutachten zur Neßsand-Verklappung aus dem Jahre 1995, welches das Experiment einer Verklappung zum Kenterpunkt Ebbe beschreibt: „Die gesamte Wassersäule wird von einer ausgebreiteten Fahne eingenommen. Im Nahfeld erleidet die Fahne geringe Verluste über die Böschung zur Fahrrinne hin, während die Hauptfahne mit der Flut ostwärts mitgeführt wird. Beim Erreichen des Mühlenberger Lochs spaltet sich die Fahne in Teilarme auf. Einer davon wird durch die Flutfüllung auf mindestens zwei Pfaden in das Mühlenberger Loch gezogen, so dass schätzungsweise bis zu 35 % der freigesetzten Feinbestandteile hier zurückbleiben.“

Grafik 5: Schwebstoffpfade in der Flutphase nach Verklappung bei Neßsand [GKSS1, S.93]

Herzlichen Glückwunsch – es untermauert die hier vertretene These: Die fortgesetzte Nutzung der flustromdominanten Klappstelle Neßsand ist unverständlich und erfolgt wider besseren Wissens. Seit 2008 und dem SSMK gilt der Handlungsgrundsatz des großräumigen Umlagerns. Als Este-Anrainer ist man sensibilisiert. Und wenn über die Mengen an Feinsediment gerätselt wird, die im Mühlenberger Loch, im Sperrwerk und der Este zu Verstopfungen führen, möge man sich auch an die Klappstelle Neßsand erinnern.

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Literatur

HPA1: HPA, Umgang mit Baggergut aus dem Hamburger Hafen, Teilbericht Umlagerung von Baggergut nach Neßsand, Bericht über den Zeitraum 1.1. bis 31.12.2013, November 2014, Quelle: http://www.hamburg-port-authority.de/de/presse/studien-und-berichte/Documents/Jahresbericht%202013%20Nesssand.pdf (unter http://www.hamburg-port-authority.de/de/presse/studien-und-berichte/Seiten/default.aspx auch andere Jahresberichte zur Umlagerung bei Neßsand und Tonne E3 seit 2005)

HPA-WSV1: HPA/WSV, Strombau- und Sedimentmanagementkonzept für die Tideelbe, Juni 2008, Quelle: http://www.hamburg-port-authority.de/de/presse/studien-und-berichte/Documents/SB-SM-Konzept-HPA-WSV.pdf

HPA-WSV2: HPA/WSV, Konzepte der Gewässerkunde an der Tideelbe,
BAW-Kolloqium September 2010, Quelle: http://vzb.baw.de/publikationen/kolloquien/0/07-10-2010_Entelmann_Vaessen_Strotmann.pdf

BfG1: BfG, WSV – Sedimentmanagement Tideelbe – Strategien und Potenziale – eine Systemstudie. Ökologische Auswirkungen der Umlagerung von Wedeler Baggergut, Untersuchung im Auftrag des Wasser- und Schifffahrtsamtes Cuxhaven, Bundesanstalt für Gewässerkunde, BfG-1584, 2008, Quelle: http://www.bafg.de/DE/08_Ref/U1/03_Projekte/04_Sedimente/systemstudie_tideelbe_1584_web.pdf?__blob=publicationFile

BfG2: BfG, Sedimentmanagement Tideelbe – Strategien und Potenziale – Systemstudie II. Ökologische Auswirkungen der Unterbringung von Feinmaterial. Band 1 (2), Endbericht. Im Auftrag des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hamburg. Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz, BfG-1763, 2014, Quelle: http://www.kuestendaten.de/publikationen/Datencontainer/S/Systemstudie_II.pdf

BfG3: BfG, Auswirkungsprognose für die Umlagerung von Baggergut im Verbringstellenbereich zwischen Elbe-km 686 und 690. Im Auftrag des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hamburg und Wasser- und Schifffahrtsamtes Cuxhaven, Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz, BfG-1744, 2012, Quelle: https://www.portal-tideelbe.de/Projekte/StromundSediTideelbe/Umlagerungsstrategie/anlagen/BfG_1744_Abgabeversion.pdf

GKSS1: GKSS, Sedimenttransportgeschehen in der tidebeeinflussten Elbe, der Deutschen Bucht und in der Nordsee, 2007, zitierend ein unveröffentlichtes Gutachten aus 1995 (GKSS, Dredging Research Ltd, Ravensrodd Consultants Ltd: Erfassung von Baggergutausbreitungen nach Verklappung vor dem Ness-Sand. Gutachten für Strom- und Hafenbau, Wirtschaftsbehörde, Hamburg. August 1995. S. 1–26, Vergabe-Nr. SB 70/95 F), Quelle: http://www.hzg.de/imperia/md/content/hzg/zentrale_einrichtungen/bibliothek/berichte/gkss_berichte_2007/gkss_2007_20.pdf

BAW1: BAW, Untersuchungen der BAW zum Strombau- und Sedimentmanagementkonzept, BAW-Kolloqium September 2011, Quelle: http://vzb.baw.de/publikationen.php?file=kolloquien/0/HW_Kolloquium_22092011.pdf